ZUM TANKWIRT AUF EIN BIER

„Wieso gehen Sie nicht in ein Wirtshaus?“ wurde ein Stammgast an der Tankstelle Roth in Fürstenfeld in der Reportage „Angezapft“ aus der ORF-Reihe „Am Schauplatz“ gefragt. Seine Antwort: „Wirtshaus – bitte, wo gibt’s noch eins?“ Während immer mehr Gasthäuser schließen, freuen sich die Tankstellenbetreiber über steigende Umsätze. Setzen doch mittlerweile viele Pächter auf einen zweiten Geschäftszweig im Shop- und Gastro- Bereich und sind dadurch Tankwart, Postpartner, Greißler, Trafikant und Wirt in Personalunion. Und das vor allem im ländlichen Raum.

„Die Frauen gehen in der Früh zum Doktor oder einkaufen und dann zur Tankstelle auf ihr Kaffeetratscherl. Wir Männer kommen dann später und holen uns unseren Spritzer oder unser Bier“, beschreibt ein Kunde das illustre Vormittags-Szenario an seiner Stamm-Tankstelle. Denn abgesehen von „Speis’ und T(r)ank“ bietet der Gastronomie – bereich der Tankstellen vor allem eines: den Treffpunkt für das gesellige Beisammensein. Eine doch einigermaßen konträre Entwicklung zu dem, wie der Anthropologe Marc Augé Anfang der 1990er Jahre die Tankstelle beschrieb: als „Nicht-Ort“ und identitätslosen, ungreifbaren Platz für Durchreisende.

Im Jahr 2017 ist genau das Gegenteil der Fall. An der Tankstelle wird getrunken, gegessen, gelacht, politisiert und – wie es sich an einem Stammtisch gehört – ein bisserl gestritten. Tankstellen übernehmen nach und nach die Rolle des klassischen Wirtshauses.

Ein Umstand, der einen durchaus wehmütig machen darf. Denn von der urgemütlichen öster reichischen Wirtshausatmosphäre ist an der Tankstelle so gar nichts spürbar. Die Gäste nehmen die Situation mangels Alternativen tapfer hin – nach dem Motto: „Der Benzingeruch stört uns nicht, Hauptsache es gibt noch einen Platz, an dem wir uns treffen können.“

Auf die Ergebnisse einer Studie darf man gespannt sein: Der Grazer Kulturanthropologe Helmut Eberhart erforscht mit Studierenden Tankstellen als Orte der Begegnung. Die Ergebnisse daraus werden 2019 in einer Ausstellung im Volkskundemuseum Joanneum zu sehen sein.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass ein Tankwart sich mit der Gastronomie ein zweites Standbein schafft. Allerdings kann und wird es nie gelingen, damit das traditionelle Wirtshaus gleichwertig zu er – setzen. Ein Grund mehr, einen Appell an die politisch Verantwortlichen zu richten, dem „Wirtshaussterben“ nicht rat- und tatenlos zuzusehen. Wirtshauslos gewordene Gemeinden sind gleichzusetzen mit einem Verlust an Lebensqualität, Kommunikation, Identität, Begegnung und Zusammenhalt. In diesem Sinne: „Retten wir das Wirtshaus!“

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